Das Verarbeiten einer Trennung dauert mitunter lange. Aber irgendwann sollten wir Deutschen doch mal darüber hinwegkommen. Ein Essay
"Wir haben uns geschämt, L als Kennzeichen hinten am Auto zu haben. Es haben immer alle gedacht, wir sind Ossis. Mir war das so peinlich, damit herumzufahren", Herbst 2017 in Berlin. Ich sitze in einer Runde von Frauen zwischen Mitte 20 bis Mitte 50. Alle sind hochgebildet, haben gute Jobs, keine außer mir kommt aus den sogenannten neuen Bundesländern. Ich verstehe das mit dem L nicht und frage nach. Das sächsische Leipzig und der Lahn-Dill-Kreis in Hessen hatten beide als Kfz-Kennzeichen L. Das hat bis 1989 niemanden gejuckt, dann fiel die Mauer und plötzlich fuhren zwei L durch Deutschland. Bis dem hessischen Landkreis im November 1990 das neue Kennzeichen LDK zugewiesen wurde.
Ein Jahr lang also schämte sich die Frau, die das erzählte, auf der Rückbank in dem Auto ihrer Eltern. Warum sie sich schämte? Eine andere am gleichen Tisch, aus demselben hessischen Kreis stammend antwortet: "Niemand wollte Ossi sein. Das war nicht cool. Ossis galten als dumm."
Als ich als Kind Sendungen wie Die Wochenshow sah, wunderte ich mich, dass manche Deutsche im Fernsehen von Natur aus dümmer zu sein schienen als andere. Meistens kamen diese dümmeren Menschen aus Sachsen, wohnten in der Platte und fuhren Trabi.
Ich war wütend darüber. Meine Mutter kam schließlich auch aus Sachsen, wir wohnten in der Platte und fuhren keinen Trabi, sondern Straßenbahn. Als Kind war es für mich unmöglich, nachzuvollziehen, warum meine Mutter mit so vielen schlauen Büchern im Wohnzimmer so dumm sein sollte, wie die Menschen, die Ingolf Lück in seiner Comedy-Show zeigte.
Ich verstand nicht, warum man nicht mal Braunschweig statt Chemnitz für dumme Witze im Fernsehen nahm.
Ich fühle mich eigentlich gar nicht als Ossi, da ich aus dem ziemlich nördlichen Rostock stamme. Das liegt aber in der Ex-DDR. Und weil die sechs Bundesländer zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen nun mal dazu gehörten, sind alle, die dort herkommen, Ostdeutsche. Das wäre per se erst mal nicht so wild, gäbe es da nicht diese Wütenden, die das Gesicht des Ostens zu einer Fratze verziehen.
Die Wütenden unterteilen sich in zwei Gruppen: In Neonazis, die Anfang der Neunziger Flüchtlingsunterkünfte anzündeten und heute AfD wählen. Und in die Abgehängten, die sich vom Staat im Stich gelassen fühlen – und deshalb auch meist zu weit nach rechts außen schwenken.
Seit die Rechten wieder Einzug in die Landesparlamente und nun sogar in den Bundestag halten, Pegida in Dresden marschiert und Geflüchtete in Bautzen über den Marktplatz gejagt werden, ist er präsenter denn zuvor: der rechte Ossi. Der Ossi, der Ausländer hasst, rassistisches Zeug rumparolt und irgendwie auch sonst eher dumm zu sein scheint. Das ärgert mich. Mich ärgert am meisten, dass es solche Leute gibt.
Aber mich ärgert auch, dass das Bild vom stereotypen Ostdeutschen mehrheitlich von Westdeutschen mit soviel Unbedachtheit und Arroganz bedient wird. Vor allem Medienschaffende, mit denen ich aufgrund meines Berufs am meisten zu tun habe, scheinen sich an dem Bild des simplen Ossis zu laben. In der Berichterstattung über „den Osten“ wirkt es oft so, als sei es eben das einfachste, Probleme in den neuen Bundesländern über die vermeintliche Gesamtcharakteristik der Bevölkerung dort zu spezifizieren.
Dadurch wird ein Bild transportiert, das im Alltag dazu führt, dass Leute auch 2017 noch mit mir abends an einem Tisch in Berlin sitzen und Dinge sagen, wie: „Es sind eh alle Ossis dumm.“ Ist das nicht auch Rassismus? Innerdeutscher Rassismus. Rassismus, der uns daran hindert, eins zu werden. Rassismus, der Wütende noch wütender macht. Lassen wir es am besten erst gar nicht so weit kommen, dafür noch ein Wort finden zu müssen.
Klar, Neonazis sind verloren, aber die Abgehängten könnten wir wieder für unsere Gesellschaft gewinnen. Wie? Indem wir ihre Probleme hören und angehen. Im gerade erst abgeschlossenen Wahlkampf wurden kaum noch sogenannte Ost-Probleme thematisiert. Dabei sind sie real. 27 Jahre nach der Wiedervereinigung verdienen Menschen im Osten weniger, bekommen weniger Rente, haben weniger Eigentum, haben es schwerer, eine Arbeit zu finden und sind öfter in befristeten Verhältnissen angestellt.
Wir sollten anfangen, aufzuhören. Aufhören, Probleme wie diese einfach nicht zu besprechen. Die Wut, die viele Ex-DDRler*innen umtreibt, resultiert auch aus Missachtung und Hohn. Missachtung, weil ehemalige Ossis oftmals jetzt immer noch Deutsche zweiter Klasse sind, und Hohn, weil sie alle allzu oft über einen Kamm geschoren werden. Dabei ist diese Wut bei vielen im Grunde Angst, weiter auf der Strecke zu bleiben. Abgehängt zu sein.
Lassen wir sie aufholen, vielleicht hören sie dann auf, das Gesicht zu einer wütenden Fratze zu verziehen.
Dieser Kommentar erschien zuerst am 3. Oktober 2017 auf ze.tt.
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