28 Jahre nach der Wiedervereinigung klafft ein struktureller Graben zwischen West und Ost. Daran ist auch die Medienberichterstattung schuld. Ein Kommentar
„Dafür brauch‘ ich keine Nachrichten, damit ich das weiß“, schreibt mir meine Freundin aus Rostock per Whatsapp. Gemeint ist das, was die Linke-Bundestagsfraktion jüngst auswertete: Beschäftigte in Ostdeutschland arbeiten länger als im Westen – und verdienen weniger.
Daten der Statistischen Ämter von Bund und Ländern ergaben demnach unter anderem Folgendes: Ostdeutsche arbeiten im Jahr rund 67 Stunden mehr (wenn Berlin dem Westen zugerechnet wird) und verdienen dabei etwa 5.000 Euro brutto weniger. Die Bundesregierung hätte sich mit einem „Sonderarbeitsmarkt Ost“ abgefunden, sagte die Sozialexpertin der Linkspartei Sabine Zimmermann zu obiger Nachricht gegenüber der Deutschen Presse Agentur (dpa). Sonderarbeitsmarkt; allein das Wort lässt nicht darauf schließen, dass es sich hier um einen ganz besonderen Markt handele, sondern um etwas, das Probleme bereitet. Eine derartige Wortwahl ist typisch in der Berichterstattung über Ostdeutschland.
„Ossis“ sind „die Abgehängten“ auf dem „Sonderarbeitsmarkt“
Diesen Eindruck bestätigt eine jüngst vom Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) durchgeführte Studie. Für ihre Doku-Reihe Wer braucht den Osten ließ die öffentlich-rechtliche Anstalt über 170 Millionen Presseartikel von 1990 bis 2017 auswerten. Drei Hauptergebnisse der Studie: Mediale Berichte über den Osten betonen hauptsächlich Probleme, behandeln meist Wirtschaftsthemen und beachten am allerwenigsten Kulturelles.
Kurz nach der Wende und zu Beginn der 1990er tauchten in den untersuchten Artikeln, so die Studie, noch eher positive Begriffe wie Aufschwung, Modernisierung oder Wachstum auf. Vor allem ab den 2000er-Jahren wurden die eher hoffnungsvoll konnotierten Formulierungen durch Begriffe wie abgehängt oder Armut ersetzt.
Professor Doktor Michael Meyen, Kommunikationswissenschaftler an der LMU München, ist in seinen Forschungen zu ähnlichen Erkenntnissen gekommen: Er bestätigt in einem Interview mit dem Radiosender Sputnik, dass sich die Ergebnisse „nicht nur bei Berichten über Ostdeutschland, sondern bei allen Berichten mit DDR-Bezug“ mit dem, was die Studie herausgefunden hätte, decken würden. Es handele sich, so der Experte, um eine „eher negative, stark problembezogene Berichterstattung.“ Er begründet dies auch mit der Medienarbeit generell, die sich bei anderen Themen ebenfalls eher auf Konflikte und Negatives konzentrieren würde.
Gar nicht so wenige Menschen aus Westdeutschland waren knapp 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch nicht im Osten.“ – Michael Meyen
Auch aus meiner eigenen Arbeit als Journalistin kann ich von solchen Erfahrungen sprechen. Ich erinnere mich gut daran, als ich als Praktikantin an einem Newsdesk eines namhaften Mediums Artikel mit sogenanntem Ostbezug schrieb. Ich wurde dazu angehalten, meine Überschriften negativer zu formulieren, weil, so sagte es mir die damalige Chefin vom Dienst, „die Leute es so gewöhnt sind.“ Eine Farce für jemanden, der aus dem Osten kommt.
Wenn Medien ein sehr problemlastiges negatives Bild von Ostdeutschland konstruieren würden, wirke sich das auf die Wahrnehmung der Menschen bis hin zu politischen Entscheidungen aus, sagt Meyen weiter im Sputnik-Interview. „Gar nicht so wenige Menschen aus Westdeutschland waren knapp 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch nicht im Osten. Und alles, was sie über den Osten wissen, speist sich aus Medienberichten oder Berichten von Freunden und Verwandten, die in den Osten fahren.“ Die bisherige Berichterstattung über den Osten ist demnach ein großes Problem für die gesellschaftliche Gesamtwahrnehmung Ostdeutschlands.
Es gibt zu wenig Ossis in deutschen Redaktionen
Der Kommunikationswissenschaftler Christian Kolmer stellte bereits vor neun Jahren in Die Ostdeutschen in den Medien fest, dass es insbesondere die Medienstrukturen seien, die zu einem „verheerenden Bild der Lage in Ostdeutschland“ führten. Er schrieb: „Die Regeln des Mediensystems führen dazu, dass die kritischen Aspekte das Bild des Ostens dominieren.“
Wir haben in den wichtigsten Redaktionen in den Leitmedien sehr sehr wenige Menschen mit ostdeutschem Hintergrund. Das hat Auswirkungen auf die Berichterstattung.“ – Michael Meyen
Der Experte Meyen bestätigt das, und sagt: „Wir haben eine Redaktionszusammensetzung, die Ostdeutsche eher unterrepräsentiert.“ Er meint hier insbesondere das Führungspersonal, also Redaktionsleitungen und Chefredakteur*innen. „Wir haben in den wichtigsten Redaktionen in den Leitmedien sehr sehr wenige Menschen mit ostdeutschem Hintergrund. Das hat Auswirkungen auf die Berichterstattung“, sagt er.
Hieraus ergeben sich mindestens zwei strukturelle Probleme: Erstens wird generell wenig über den Osten berichtet und zweitens, wenn über ihn berichtet wird, dann eher in einem negativen Kontext. 28 Jahre nach der Wiedervereinigung ist das ein Armutszeugnis für die deutsche Medienlandschaft.
Auch das ist etwas, was ich aus meiner eigenen Arbeit bestätigen kann: Ich arbeite seit 15 Jahren im deutschen Journalismus und war in jeder Redaktion, in der ich schrieb, die einzige oder eine von sehr wenigen Ostdeutschen.
Menschen interessieren sich für das, was sie am ehesten beschäftigt, womit sie sich am meisten identifizieren können. Es ist daher nachvollziehbar, wenn sogenannte Ostthemen im Westen keine große Rolle spielen. Trotzdem sollte es Anspruch und Aufgabe eines gesamtdeutschen Journalismus sein, ein – einheitliches – Bild aller Ecken unseres Landes zu präsentieren und für eine ausgewogene Berichterstattung zu sorgen. Dann bin ich vielleicht in einigen Jahren nicht mehr eine von ganz wenigen ostdeutschen Chefredakteur*innen Deutschlands.
Dieser Kommentar erschien zuerst am 22. August 2018 auf ze.tt.
No Comments.